#2.. Das Herz schlägt im Zweitakt

#1 von Ar-one , 06.03.2015 20:29

Die ersten zwei Wochen des Septembers waren jahrelang fest gebucht fürs ?Bol d?Or?. Was sonst! Ein würdiger Motorradjahresabschluss aus deutscher Sicht. Danach kam meist nicht mehr viel Freude auf. Die schmerzhaften Erinnerungen, an die Zeit, in der man Sommer wie Winter Zweirad fuhr, waren noch allgegenwärtig. So hoffte man auf ein gnädiges Einsehen des Wettergottes, auf dass er uns die letzten Wochen im Herbst mit milden Temperaturen und wenig Nass verwöhnen würde.

Schon die Anfahrt war ein Erlebnis für sich.
Start in aller Herrgottsfrühe bei schon recht frischen Temperaturen. Die Z1000, frisch eingestellt und mit neuem Öl getränkt, schnurrte angriffslustig die Autobahn Karlsruhe Basel entlang.
Dann rüber auf die französische Seite in Richtung Lyon, wo die Sonne erstmals, die inzwischen steif gewordenen Gebeine, wieder richtig aufwärmte. Schließlich war man unterm Leder auf spätsommerliche Temperaturen bis 30°C in Südfrankreich präpariert. Und zuviel Gedöns wollte niemand dabeihaben. Koffer, oder etwa das schöne Kawa Bürzel voll spannen? Niemals!! Alles, inklusive Zelt und Zahnbürste, musste in den Tankrucksack passen. Schlafsack? Nur wenn noch Platz übrig war.
Auf der Autobahn in Frankreich kroch das Sommerfeeling beständig und mit jedem Kilometer mehr in den Körper, - und vor allem ins Bewusstsein.
Den Blick immer auf die Großwetterlage gerichtet - kommt diese schwarze Wand auf uns zu, oder kann man ihr mit beherztem Angasen davonfahren - düsten wir, die Füße auf den hinteren Fußrasten, halb auf dem Motorrad liegend, in Richtung Aix-en-provence.
Gehalten wurde nur zum tanken. Meist waren wir 5-10 Leute. Das hieß, in der Tankzeit musste alles erledigt werden. Von der Kippe bis zum verdauten Schnitzel des Vortages. Mehr wie 15min. waren meistens nicht drin. Ein Schokoriegel als Zwischenmalzeit musste reichen. Getrieben von der Vorfreude, dem schönen Wetter, oder einfach nur von der puren Freude am fahren, wollte jeder wieder so schnell wie möglich auf das Bike.

Seit der Bol d?Or, im Jahr 1978, von Le Mans nach Le Castellet wechselte, sorgte sich Paul Ricard, gleichnamiger Pastis-Produzent, Besitzer der Rennstrecke und sämtlicher Autobahnen Frankreichs, nicht nur um freie Fahrt an den Mautstellen für alle Motorradfahrer, sondern auch noch für freien Pastis rund um die Strecke. Was für manch einen zum ersten schrecklichen Déjà-vu Erlebnis während dem Zähneputzen am nächsten Morgen führte.
Wir fuhren meistens Donnerstag los, um erstens genügend gute Möglichkeiten fürs Zelten zu finden, und zweitens, um das Training noch mitzubekommen. Es ging nicht um das Training im speziellen. Doch im Vorlauf eines Rennwochenendes waren noch weniger Besucher, noch weniger Kontrollen, - einfach das ganze Drumherum war etwas relaxter.
Mann konnte sich ungestört im Fahrerlager bewegen, die besten Stellen an der Rennstrecke austüfteln, und einfach ?richtig ankommen?.
Das fing schon bei der Anfahrt an. Von Aix-en-provence bis Aubagne sammelten sich die ersten Motorradfahrer aus allen Herren Ländern, was ein unglaubliches Gefühl der Verbundenheit vermittelte. Bis zur Abfahrt La Cardiere-d?Azur standen schon Unmengen von Motorradfahrern, die ratlos mit ihren Landkarten hantierten, oder nach dem Weg fragten. Auf der Landstrasse nach Le Beausset war brauchte man nur noch im Strom mit zu schwimmen, und kam so zum Circuit Paul Ricard.

Im Gelände angekommen, war jeder so aufgezogen von der Vorfreude auf den Spektakel, dass beim ersten Willkommens-Solo einer 4in1 Tüte der trainierenden Rennfahrer, alles stehen und liegen gelassen wurde, nur um möglichst schnell an die Strecke zu kommen. Zelt aufstellen konnte man nach dem Training noch.

Dieses unbeschreiblich vibrierende Gefühl, das jede Faser des Körpers erreichte, und in Massen Glückshormone verströmte, konnte nur die Atmosphäre einer Rennveranstaltung bei mir auslösen.
Das hat sich bis heute nicht geändert. Jedes Mal bei Ankunft einer Motorradrennveranstaltung, wenn schon von weitem das wilde kreischen und der Duft eines Zweitakters, oder die sonore 4in1 Flöte eines Viertakters, die Ankunft begleitete, wusste ich, ich war zu Hause angekommen.

Nachdem die besten Ecken festgelegt waren (je öfter man dort war, um so einfacher wurde es), das letzte Training beendet, und der Magen feste Nahrung einforderte, schaute man sich nach den ersten Möglichkeiten um. Wer Donnerstags anreiste musste mit den allerersten ?Steak&Frites? Verkaufsbuden vorlieb nehmen, was im nachhinein betrachtet, nicht immer die schlechteste Wahl war. Mit den Jahren kamen dann auch noch Pizzabuden dazu, so dass das Angebot immer reichhaltiger wurde.

In der Nähe unseres kleinen Zeltlagers wuchsen Häusergroße Lautsprecherboxen in den Himmel, die gleich am Freitag schon mit ersten geilen Songs tönten.
Als Police Sänger Sting (natürlich nicht life) sein ?Walking on the moon? aus der rauchigen Kehle presste, fühlte ich mich genau so.

Ich spazierte irgendwo, vielleicht nicht auf dem Mond, ganz bestimmt aber auch nicht auf dieser Erde.

In diesem Jahr (1979) fuhren auch Christian Sarron und Patrik Pons mit der 750iger Zweitakt Yamaha des Französischen Importeurs Sonauto mit.

Während wir nachts auf der Tribüne am Ende der Mistral Geraden saßen, die französische Gülle aus grünen Flaschen soffen, und davon träumten, da unten auch mal mitzumischen, kam Runde für Runde ein ganz besonderes Highlight auf uns zu.

Jedes Mal, wenn Sarron oder Pons mit der Gauloises Sonauto Yamaha unten in die Mistral einbogen, bot sich das gleiche, elektrisierende Spektakel.


Da wir ganz oben, am Ende der Mistral saßen, erkannten wir immer nur jede Menge Scheinwerfer am Anfang zur Mistral, die relativ gleichmäßig auf die Gerade einbiegend, auf uns zu flackerten. Innerhalb der 24 Stunden war das Feld natürlich so weit durcheinander gewürfelt, dass eine klare Struktur der Positionen, bei Nacht, unmöglich zu orten war.


Die Yamaha peilte also ihre Scheinwerfer erst auf den Fixstern gen Himmel, um dann mit infernalisch hubraumstarkem Zweitaktgebrüll, langsam abwärts senkend und mit gefühlter Lichtgeschwindigkeit an den Kontrahenten vorbei düsend, direkt auf uns zu.
Bogen dann mit ein zwei knalligen ?bäpp-bäpp? Zwischengas in die Signes ein, die damals zu der Beausset fast wie eine Doppelrechts Hundekurve gefahren wurde.

Ich denke, die französische Gülle in den grünen Flaschen haben dieses Ereignis noch mehr verstärkt. Erst viele Jahre später mit Kevin Schwantz auf der Suzuki, wurde wieder so ein ?göttlicher Augenblick? initiiert. Aber das ist eine andere Geschichte.

Gewonnen hat natürlich ein anderes Team. Ich wusste nicht mal, ob die Yamaha, Sarron oder Pons schwächelten, aber mein Motorrad Virus, der bis dahin im Paradies einer Goudier-Genoud Kawasaki eingebettet war, wurde nun gespalten. Ich hatte ab dem Moment einen Viertakt und einen Zweitakt Virus im Körper, die zwar gleiche Eigenschaften besaßen, doch mit höchst unterschiedlichen Gefühlen weiter wuchsen.

Da ich am Montagmorgen 300km entfernt von meinem Heimatort ein neues Kapitel in meinem Leben aufschlagen musste, fraß ich schon am Sonntagmittag, noch während der Siegerehrung, flachliegend soweit das auf meiner Kawa ging, anstatt einem ordentlichen Frühstück, die Autobahnkilometer weg. Als Beilage stimulierte mich Sting mit ?Walking on the moon?, und einen Hero mehr gab?s auch, - nämlich Christian Sarron, (oder war?s die Gauloises Yamaha?)


"Serious sport has nothing to do with fair play. It is bound up with hatred, jealousy, boastfulness, disregard of all rules and sadistic pleasure in witnessing violence: in other words it is war minus the shooting."

 
Ar-one
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#1.. Wie alles anfing...
#3.. Ist das Bike zu stark - bist du zu schwach

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