#4.. Die suche nach Wahrheit

#1 von Ar-one , 06.03.2015 20:28

Da ich nun ohne Motorrad dastand, konnte ich nur zwischen dem alten Käfer meiner Freundin und dem Zug Stuttgart - München - Rosenheim wählen. Ich suchte mir besser ein Auto.
Bis es soweit war, musste ich jedoch mit dem Zug von Rosenheim nach München. Da mich auf diesem Weg, außer einem romantischen Blick auf die Alpen, nur noch jede Menge Kuhdörfer begleiteten, suchte ich zur Ablenkung etwas Handfestes zum lesen.

Mein Blick gleitete über alle möglichen Zeitschriften. Nichts Schweres wie die FAZ sollte es sein. Aber auch nichts, was zwingend auf BILDung ausgelegt war. Etwas kleines, handliches, möglichst mit einem interessanten Thema. Die großen Motorrad Zeitschriften lagen mir noch mit ihren Abos schwer im Magen. Das konnte ich jetzt nicht gebrauchen.
Da fiel mein Blick auf eine zuerst unscheinbare Zeitschrift Namens ?Powerslide?. Bei näherer Betrachtung offenbarte sie die große Lücke zu meinem, bis dahin eher jungfräulichen, Grand Prix Bewusstsein.

Während der Fahrt zog ich mir das Heft von vorne bis hinten, von hinten nach vorne, wieder und wieder rein. Fasziniert von der Idee der Zeitschrift, nur das Renngeschehen, exakt und umfangreich zu beschreiben, spürte ich, wie eine neue, große Freundschaft zwischen Rosenheim und München zu wachsen begann.
Kein Dienstag, an dem ich nicht schon vor 12Uhr mittags am Bahnhof stand, um nach der neuesten Powerslide zu suchen.
Das war in Rosenheim lange Zeit der einzige Zeitschriftenkiosk der das Heft zum Verkauf anbot. 1982 war das scheinbar noch ein echtes Insider Blättchen. War das Heft aus irgendeinem Grund vergriffen, war auch meine Laune für diesen Tag im Eimer. Das hat sich solange nicht geändert, bis ich einen festeren Wohnsitz mit festem Abo hatte.
Übrigens, ohne Übertreibung kann ich behaupten, dass das mein einziges Abo im Leben war, das ich noch nie bereut habe.

Da Rosenheim nur einen Katzensprung von Salzburg entfernt lag, überredete ich einen Studienkollegen zum gemeinsamen Besuch des Salzburg GP 1982. Ich war ja ohne Auto und Motorrad, wie ein Fisch ohne Wasser. Dank meiner neuen Weisheiten aus der Powerslide, konnte ich den Kollegen mit dem ?Außerirdischem?, ?sensationell, jungem, sauschnellen Milchgesicht aus Shreveport USA?, kurz Freddie Spencer, ?The Fast? genannt, ködern.

Natürlich spielte er nur einen Tag mit. Also morgens den Ford Capri angeschmissen, und volle Tüte ab nach Salzburg. Wir trudelten so gegen 10Uhr am äußersten Rand des Salzburgrings ein.



Genauer gesagt, irgendwo um Planfeld herum. Na - Danke fürs Gespräch.
Autos verstopften jeden noch so kleinen Trampelpfad. Planlos standen wir von einem Stau zum anderen. Bis mir irgendwann der Kragen platzte. ?Hey Langer (sein Spitzname), stell deinen Capri in den Acker, wir laufen das letzte Stück!?. ?Ok!! Du kennst dich ja aus!!!?


Wenn der wüsste. Doch ich war selber so blöd und überzeugt, dass wenn das sägen der kleinen Schnapsglas Klassen zu hören war, auch der Ring nicht mehr allzu weit sein konnte.

Au Backe - das tat weh. Wer nicht hören will muss fühlen. Genauer gesagt, mussten wir über sämtliche Hügel, die im Umkreis von 5 km den Salzburgring umsäumten, klettern.
Deshalb hörten wir die Schnapsgläser auch so gut.
Der Salzburgring ist eingebettet in einer landschaftlichen Kuhle. Und wen da die Zweitakt Fräsen mit ihren offenen Tüten zu sägen anfangen, hallt das bis nach Wien und Budapest.
Also stapften wir wie die Deppen, genervt und völlig ausgetrocknet, über hüglige Wiesen und lehmige Äcker. Dabei viel mir noch ein, wie in der Sportschau, den Abend zuvor, kurz das verregnete Training gezeigt wurde. Mann, da hat es Katzen gehagelt. Jouuuu!!

Wenigstens waren wir nicht die einzigen Blödel, denn es waren noch einige blöd genug uns zu folgen. Und so erreichten wird den oberen Rand des Rings ungefähr bei der Aufwärmrunde zur 500 Klasse.
Nur zur Erinnerung!
Damals gab es noch die Klassen 50, 125, 250, 350, 500ccm und Sidecar bei einer Veranstaltung.

Anders ausgedrückt, wir stolperten über vier Klassen durch die unwirtliche Salzburger Landschaft, nur um die einzelnen Oktaven der verschieden Klassen zu hören. ?Määää!!? bei den 50igern. ?Möööhhh!!? bei den 125iger, ?Mööeeeeehhh!!? die 250iger. ?Mooeeeehhhrrrrr!!? die 350iger. Bei den 500ccm fiel mir nur noch ?Waauoowww? ein und endlich sahen wir auch wo die Geräusche herkamen.

Wie wir zufällig genau am Ende der Start /Ziel Geraden landeten wusste nur der Herrgott. Aber als ich vor Erschöpfung in den Streckenzaun gekrallt die ersten Rennfahrer vorbeifliegen sah, hatte ich die Strapazen der letzten 3 Stunden fast vergessen.

Man hörte plötzlich gar kein kreischen mehr, sondern wenn die besonders schnellen Jungs kamen, bollerten zuerst die verdrängten Luftmassen. Dann, wie aus heiterem Himmel zackten Roberts, Sheene, Uncini, Spencer und Luchinello vorbei. Die Reihenfolge könnte auch anders gewesen sein.

Ich war so geplättet von der unmittelbaren Nähe zu der fast körperlich spürbaren Geschwindigkeit mit den kreischenden Raketen, dass mir schlicht der Atem samt Verstand stockte.

Bevor ich richtig zur Ruhe kam, war der ganze Spektakel vorbei. Im Gegensatz zur Langstrecke musste ich dringend an meinem Timing arbeiten. Das war die erste Wahrheit des Tages!

Aber am darauf folgenden Dienstag, hatte ich, Gott sei Dank, die neue Powerslide in der Hand, und Günther Wiesinger erklärte mir alle fehlende Details dieser Veranstaltung.

Das war die zweite Wahrheit!


"Serious sport has nothing to do with fair play. It is bound up with hatred, jealousy, boastfulness, disregard of all rules and sadistic pleasure in witnessing violence: in other words it is war minus the shooting."

 
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zuletzt bearbeitet 26.09.2022 | Top

RE: Die suche nach Wahrheit?

#2 von tourenbiker , 08.03.2015 17:36

Ich bin am Ring immer irgendwo um das Fahrerlager herum gewesen. Nicht zu vergessen der penetrante Gestank nach Äther (Oberöl). Oder war es Parfum????


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