#6.. Heros im Wechsel

#1 von Ar-one , 06.03.2015 20:27

Sechs Jahre später, 1988, nachdem Freddie Spencer mehr mit außergewöhnlichen Krankengeschichten, als mit seinem außergewöhnlichen Talent von sich reden machte, und vor einer neuerlichen Saison der mysteriösen Eskapaden, zum GP in Suzuka seine Karriere beendet hatte, wollte ich endlich mal wieder life einen Grand Prix erleben. Die Jahre zuvor bekam ich die Grand Prix Szene nur über Powerslide, und eher selten mal am TV mit. Den Luxus einer regelmäßigen Übertragung gab es damals noch nicht.

Das Ende der Karriere Freddie Spencers nagte noch immer an mir.
Wer in einem Jahr, gleichzeitig die Klassen 250 und 500ccm als Weltmeister beendete, der musste doch mental und körperlich mit allen Wassern gewaschen sein. Er war der Vorreiter des Back Weel Stearings, und hat damit eine neue Epoche des Motorradrennsports eingeläutet.

Laut seiner Biographie hat er mit 10 Jahren schon 83 von 90 Rennen gewonnen, und war Staatsmeister der Staaten Texas, Oklahoma, Arkansas, Mississippi und Louisiana. Mit 18 Jahren von Honda zum jüngsten Werksfahrer seiner Geschichte erkoren, hat er sämtliche, etablierten Haudegen wie Sheene und Roberts, nicht nur zum staunen, sondern regelrecht sprachlos gemacht.
Und wer Roberts Karriere zu der Zeit verfolgte, wusste, dass der nie um eine gepfefferte Antwort verlegen war.
Sämtliche Cheftechniker erklärten in einhelliger Verzückung, wie Spencer die entscheidenden Zehntel mit durchdrehendem Hinterrad am Kurvenausgang holte. Bis dato ein Ritt auf der Rasierklinge, bei dem nicht wenige mit üblen Highsidern belohnt wurden. Zu ungläubigem Staunen führte auch die Diskrepanz seiner Bankkaufmanns-Aura, wenn er mit bis dahin beispiellosen Speed, und siegeshungrigem Killerinstinkt die Siege und WM Titel einfuhr.

Als hätte das Jahr 1985, das Jahr der Doppel WM, seine ganze Überlegenheit und Leidenschaft aufgesaugt, sah man ihn nur noch wie eine ausgedörrte Kopie des einstigen Heros im Ring taumeln. Selbst die Rechtfertigungen hörten sich immer schaler an. Sein Bonus, genährt von unikaler Größe, wurde mit jedem Statement schmaler. Man ahnte ein Ende mit vielen kleinen Schrecken.

Letztlich hat er nur eins deutlich gemacht, nämlich dass hinter jedem Hero auch ein Mensch steckte, der, wie in seinem Fall, oftmals nur an sich selbst scheitern konnte. Es tut weh, so etwas mit zu erleben. Der richtige Zeitpunkt für das Ende einer Karriere bekam seither eine völlig neue Dimension für mich.

Mein geplanter GP Besuch in Imola fiel ins Wasser, denn ich verbrachte den kompletten Mai 1988 in einem Schwarzwälder Krankenhaus, um meinem teilweise zertrümmerten, dritten Lendenwirbel wieder etwas Gelegenheit zum Knochenaufbau zu geben.
Der Grund für die Klinik im dichten Schwarzwald lag weniger an der gesunden Waldluft, als eher an der Tatsache, dass ich beim durchfräsen meiner ?Hausstrecke? eine tückische Straßenverformung, die wohl vom winterlichen Reparaturdienst hinterlassen wurde, übersah.
Deshalb flog ich mangels Bodenkontakt, gemeinsam mit meiner neuen Zweitakt Yamaha RD500LC, im Freiflug zwischen den Streckenbegrenzungsfelsen, hinaus auf eine ca. 20m tiefe Talsenke.

Meine Yamaha meisterte diesen Höllenflug, in dem sie ein abwechselndes Salto mortale mit Vorder- und Hinterrad vollführte, und erst auf der gegenüberliegenden Anhöhe in ihrem Tatendrang gestoppt wurde.

Warum ich nur fünf Meter weit flog, flankiert von mächtigen Bäumen rechts und links, weiß nur mein Schicksalslenker. Dank der in diesem ?freien? Fall instinktiven Katzbuckelstellung, landete ich auf meinem Steißbein, und rutschte so noch ein paar Meter weiter den Hang runter, bis mein rot weißer, nagelneuer Harro Einteiler ?Fuji? genug Reibung aufbauen, und mich, schnöde gesagt, an den Eiern hängend zum Stillstand brachte. Nach der ersten Schrecksekunde konnte ich mich nur an das komisch schabende Geräusch meiner Verkleidung erinnern.

Doch weshalb in aller Welt lag ich mitten im Unterholz an diesem blöden Hang. Der Druck auf meinen Genitalien machte die Überlegungen auch nicht einfacher. Vor allem beunruhigte mich die Tatsache, dass ich mein Hinterteil nicht bewegen konnte um dem Druck auf der Vorderseite zu mildern. Ich hing hilflos auf dem Rücken wie ein Maikäfer. Meine Zehen konnte ich bewegen, also war ich fürs erste etwas beruhigt.

Ein anderer Motorradfahrer, den ich zuvor noch euphorisch überholt hatte, hielt Gott sei Dank an, und versuchte die Böschung herunter zu klettern. An seinem geschockten Gesichtsausdruck konnte ich ungefähr erahnen, wie dramatisch der Abflug zuvor ausgesehen haben musste.
Da ich bei Bewusstsein war, und wir gemeinsam alle körperlichen Eventualitäten durchgehen konnten, zog er mich sachte etwas hoch. Mein wichtigstes Teil wurde endlich aus der strangulierten Problemzone geschoben, und er konnte sich auf machen um den Sanka zu alarmieren.

Kurzum, den Imola GP brachte mir, wie schon so oft, die treue Powerslide im Detail näher. Lawson gewann vor dem amtierenden Weltmeister Wayne Gardner.

Schon eine Woche darauf, fand der GP Deutschland auf dem Nürburgring statt. Ich lag in einem deutschen Krankenhaus, und da bei den 250igern Paradefahrer wie Mang, Roth, Wimmer und Herweh antraten, stand die Chance recht gut, dass der komplette GP übertragen wurde.



Es war typisches Eifelwetter - doch ich konnte in meinem warmen, bequemen Krankenbett recht gut nachvollziehen wie die Fahrer und Zuschauer um den Kurs schlotterten.
Warm ums Herz wurde es erst so richtig, als Kevin Schwantz durch die Pfützen der Eifel schlitterte, und, wie schon in Suzuka, zeigte, dass auch ein Q-Tip in Menschengestalt, die brachiale Gewalt einer 500er bändigen, und in Siege umsetzen konnte.
Ich ahnte schon damals, dass mir dieser Typ, solange er im Sattel bliebe,
noch jede Menge Freude bereiten würde.

Jetzt musste ich erstmal aus dem Krankenbett, um den übereilten Schwur den ich meiner Freundin gab - ?ich fahr nicht mehr auf der Landstraße, sondern nur noch auf der Rennstrecke? -, ebenso wie meine verbogene RD500, schnellstmöglich wieder gerade zu biegen


"Serious sport has nothing to do with fair play. It is bound up with hatred, jealousy, boastfulness, disregard of all rules and sadistic pleasure in witnessing violence: in other words it is war minus the shooting."

 
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