#8.. Bevor die ersten Sterne glänzten...

#1 von Ar-one , 06.03.2015 20:24

...streiften Kometen am Herzen vorbei?

Wie das Leben so spielt, war man in der Jugend meist mit seinen kuriosen Gedanken und Wünschen nicht ganz allein auf dieser Welt.
Darum hatte auch ich, seit meiner Schulzeit, einen treuen Begleiter an meiner Seite, der mit mir fast jedes Abenteuer teilte.
Als eingeschworenes Zweiergespann meisterten wir sämtliche Klippen der Pubertät. Über den ersten, geistigen Höhepunkt beim spannen im Freibad, weiter zu den täglichen, schulischen und familiären ?Qualen?, konnte uns nur die unterschiedliche Auffassung über rohe Tomaten und Milchkaffee entzweien.

Selbstredend, dass wir auch Zweiradtechnisch auf derselben Welle ritten.
Nach dem aufwühlenden neuen Geist der Hippies, der uns mit voller Wucht in unseren ersten, feuchten Träumen traf, torkelten wir mit langen Haaren und dem ersten, mühsam gepflegten Oberlippenflaum, zwischen den makellosen Brüsten Uschi Obermeiers und der verwitterten Coolness Charles Bronsons hin und her.

Die Rettung aus der Bredouille hieß ?Easy Rider? und ?Born to be wild?.
Wie besessen werkelten wir an unseren Fahrrädern, um endlich mit Hochlenker und Gepäckstange am Heck ganz ?wild?, ?easy? und möglichst ?cool? durch die Gegend zu radeln.
Das zog sich bis über die Moped Epoche hin und endete erst als wir unsere Z1000 Kawas bestiegen. Dort war die Coolness dann in vier singenden Zylindern, mit 85PS und oben liegenden Nockenwellen, versteckt.

Später, ab 1982, waren wir Zweitakt Racing infiziert. Zumindest Gedanklich. Nachdem ich ihn zu einer zweiten Pleite meinerseits, in aller Herrgottsfrühe zum Salzburgring schleppte, wo ich Jahre zuvor schon mit meinem Studienkollegen floppte, wiederholten wir die gleiche Chose wie zur doppelten Bestätigung, noch einmal.

Aller Guten Dinge sind ja bekanntlich ?drei?! Denkste!!

Fürs dritte Mal Salzburgring wurde strategisch weiter ausgeholt!
Da am 4. Juni ?89 in Salzburg, und am 11. Juni in Rijeka ein GP stattfand, entschlossen wir uns spontan für einen GP Kurzurlaub.

Freitagmittags starteten wir meinen schrottreifen Golf, der dank zu spät gewechseltem Thermostat, nun auch mit einer neuen Zylinderkopfdichtung aufgepäppelt war. Abgesehen von diversen, mürben Karosserieteilen, die mir im Innenraum, speziell am Hinteren Federdom entgegenzwinkerten, starteten wir perfekt gerüstet auf die Bahn Stuttgart - München - Salzburg.


Ich kann heute nicht mehr genau sagen, woher ich von dem Bauernhof in Plainfeld wusste. Entweder las ich es in einer Zeitschrift, oder sah beim letzten Pleiten-Pech- und Pannen Salzburgring Besuch, trotz mächtig dickem Hals bei der Heimfahrt, ein Schild mit ?Zimmer frei?, und notierte mir damals schon frustriert die Telefonnummer.
Jedenfalls hatte ich eine Woche zuvor dort angerufen und ein Doppelzimmer geordert. Wir checkten also Freitagabend in dem Bauernhof ein, der bis unter den Giebel mit Rennbesuchern voll gestopft wurde. Wie ich Glückspilz nur eine Woche zuvor einen so begehrten Platz reservieren konnte, war mir in dem Moment schleierhaft. Später stellte sich heraus, dass bei Überbelegung, die Leute im ganzen Kaff verteilt wurden. Eine willkommene Gelegenheit für die Einwohner, um die Haushaltskassen etwas zu frisieren.

Es war relativ ruhig an diesem Abend, so dass wir gelassen die Lage um den Ring sondieren konnten. Immer die Tainaustrasse entlang, kamen wir an entscheidenden Stellen vorbei, die, je nach Planung der Parkerei, ins Auge gefasst werden mussten.
Hat man Zeit, und nicht den Massenansturm am Rennsonntagmorgen, sehen die Verhältnisse weit besser und entspannter aus. So suchten wir einen nahen Parkplatz, der uns nur mit einem 5min. Querfeldein Marsch von der Fahrerlagerkurve trennte. Genauso kamen wir von diesem Parkplatz, bei der Rückfahrt nach Plainfeld, direkt an einem belebten, urigen Gasthof vorbei, bei dem die panierten Schnitzel mit Pommes, im Sekundentakt aus der Küche geschleudert wurden.

Dort ließen wir auch den Freitag mit Schnitzel, jeder Menge Bier und einer hitzigen Spekulation ausklingen. Wie würde sich der Hero aus vergangenen Tagen, Freddie Spencer, nach seinem Rücktritt vom Rücktritt, jetzt im rot/weißen Marlboro Yamaha Team, aus der Affäre ziehen.
Wo doch sein Nachfolger Eddie Lawson, jetzt bei Rothmanns Honda und Erv Kanemoto, sowie die neuen Wilden, Kevin Schwantz und Wayne Rainey, das Zepter in der Hand hielten.

Kurz bevor wir zu vorgerückter Stunde, Kevin Schwantz und Freddie Spencer verwechselten, stolperten wir zum Auto und suchten in dem mittlerweile immer dichter besiedelten, riesigen Bauernhof unser, hoffentlich noch freies, Zimmer.
Der nächste Morgen begrüßte uns mit frisch gereinigter Alpenluft und dem natürlichen Hormonpräparat der aufsteigenden Juni Sonne.
Von deftigem Bauernfrühstück voll gestopft, machten wir uns auf den Weg zum Qualifikationstraining.
Die kleinen Klassen benutzten wir, um die besten Plätze für die 500er zu finden. Wir liefen an der Fahrerlagerkurve außen rum, und schauten den 125er eine Weile von der höchsten Stelle des Kurses zu.
Selbst bei den kleinen Schreihälsen sah es schon recht ordentlich aus, wenn sie volle Tüte über die leichte links Kuppe am Ende des langen Bergaufstücks mähten, um, natürlich ohne vom Gas zu gehen, in die Fahrerlagerkurve rechts umzulegten, und diese noch zur hälfte als Windschatten nutzten, um am Ende aus diesem heraus auszubremsen.
Wir liefen weiter entgegen der Fahrtrichtung das Bergaufstück runter bis zur Nocksteinkehre. Dort war es recht unterhaltsam, wie die Schnapsgläser sich für den Windschatten eines schnelleren Kontrahenten formierten. Speziell diejenigen, die sowieso mit wenig Leistung bestraft waren, mussten nun auch noch in der Nocksteinkehre Kopf und Hals riskieren, nur damit sie einen anständigen Windschatten, und somit auch eine bessere Rundenzeit zustande brachten.


Am Salzburgring extrem wichtig. Genauso wie die richtige Übersetzung für die Windschattenduelle. Da war viel Erfahrung und Know How gefragt.

Um die Nocksteinkehre kam man zu Fuß nicht sauber rüber. Erst musste man durch den Wald klettern. Dann stand man, allerdings nach einem mühseligen Fußmarsch, an einem nicht richtig sichtbaren Ende der Zielgeraden. Eigentlich dort in der Nähe, wo später die Schikane gebaut wurde. Um die Zielgerade im gesamten zu überschauen, musste man wieder über einen schmalen Waldpfad bergauf wandern, an dem aber kein befriedigendes Plätzchen garantiert war. Nur viele Bäume, die uns zusammen mit dem Zweitaktgekreische in die Welt der Baumfäller und Motorsägen versetzte, in der wir bei jedem Schritt mit einem
?T-i-m-b-e-r? Ruf und dem begraben werden unter einer mächtigen Tanne rechnen mussten.
Durch den Wald weiter vor zum Nesselgraben war auch mehr als zweifelhaft, weil man nie wusste, ob man gleich vor einem Zaun stand und wieder zurückmarschieren durfte. Also, besser gleich jetzt den Rückzug antreten.

Um die Nocksteinkehre herum und wieder hinauf zur Fahrerlagerkurve. Das Training der 250iger war schon voll im Gange.

Die Nocksteinkehre war zwar schön anzusehen, als Kurve im Allgemeinen. Aber der eigentliche Reiz am Salzburgring war eindeutig das Bergaufstück und die Fahrerlagerkurve.

Wenn die Mopeds wie an einer Perlenschnur aufgezogen, bergauf ihre Windschattenduelle lancierten, fragte man sich als Zuschauer andauernd, wo sich die Cracks ihre Orientierungspunkte für die letztmögliche Chance zum attackieren suchten. Denn das Ende des Bergaufstücks, ein leichter Linksknick der mit Topspeed genommen wurde, endete mit einer relativ blinden Kuppe die gleichzeitig den Richtungswechsel in die Fahrerlagerkurve einleitete. Wer selbst schon mal etwas zügiger Moped gefahren ist, weiß, was es bedeutet, mit nahezu 300 km/h, erstens einen zackigen Richtungswechsel und, zweitens, den auch zum richtigen Zeitpunkt mit Kopf und Körper punktgenau zu vollenden.

Eine der ersten und wichtigsten Erfahrungen die ein Motorradfahrer macht: Je schneller die Geschwindigkeit, umso mehr muss der Richtungswechsel vorgeschoben werden.

Wer also mit 70 km/h in eine lang gezogene Kurve fährt, wird auf dem Motorrad von der Kurve gar nicht viel mitbekommen. Anders sieht das bei 280 km/h aus. Da ist das plötzlich ein scharfes Eck, bei dem man schon 50m vorher in guter Schräglage positioniert sein muss. Das erfordert viel Erfahrung und Feingefühl.

Wenn dabei aber ein Pulk mit Rennfahrern, die alle vom Druck guter Rundenzeiten und dem unbedingten Siegeswillen getrieben werden, fighten, ist das wieder etwas anderes. Etwas Besonderes! Wer selbst eine ungefähre Ahnung davon hat, wie das Leben bei diesen Geschwindigkeiten auf einem Zweirad aussieht, bewertet auch die Leistung aller Motorradrennfahrer unter einem anderen Licht.




Wir schauten zu wie unser guter, alter Reinhold Roth noch ?einen Brikett nachlegte? um sich bei Martin Wimmer und dessen überraschend prächtig laufender, privaten Aprilia mit Rotax Motor einzuhängen, und sich auf eine gute Runde ziehen zu lassen.

Der Himmel wurde bewölkter, die Sonne trübte etwas ein, und wir waren nun am Ende der Fahrerlagerkurve angekommen. Dort hatten wir am Freitag schon den ersten, und wie sich später herausstellte, besten Standort festgelegt.

Als wir gerade dabei waren uns gemütlich zu platziert, begannen die 500er mit den ersten Aufwärmrunden. Im Gegensatz zu den 125igern und 250igern, kamen selbst die 500er Privatfahrer wie Stukas um die Fahrerlagerkurve. Vielleicht lag es auch am sonoren Kreischen der Hubraumstärkeren Maschinen, die eher an einen Raketenstart als an einen Bienenschwarm erinnerten.
Es klang einfach absoluter ? tiefer ? lauter - aggressiver!

Diese gefühlte Dramatik, die sich, wieso auch immer, mit jeder höheren Klasse steigerte.Dass aber innerhalb der 500er noch einige Steigerungen möglich waren, zeigte sich erst als die Top Ten vorbei flogen.
Die tapferen Privatfahrer waren plötzlich nur noch Statisten.
Bei fast allen Top Ten Fahrern jaulten die Hinterreifen um die Wette, und hauchten uns ein erstes Gefühl für das ein, was wir kurze Zeit später mit aufgerissenen Augen und sabbernden Lefzen am Streckenrad bestaunten.

Auch zwischen den Top Ten konnte man, dank Eddie Lawson, Wayne Rainey und Kevin Schwantz, noch einmal unterscheiden.

Besonders letzterer, Kevin Schwantz, der bei seinen Interviews, mit lockigem Wuschelkopf und spitzbübischen Grinsen den Eindruck vermittelte, er könne keiner Fliege was zu leide tun, bolzte derart gnadenlos, mit wild durchdrehendem Hinterrad, an der Spitze des Dreierpulks durch die Fahrerlagerkurve, so dass jedes Mal, neben dem infernalischen 500er Zweitakt Geschrei, auch noch das ekstatische Raunen durchs Publikum zu hören war.
Schlagartig fühlten wir eine ungesprochene Einigkeit im Publikum, das sich nur noch auf diese paar Trainingsrunden des Dreiergespanns konzentrierte.

Das war das Highlight in der Arena. Die Gladiatoren, die die Menge aufheizten. Unbeschreiblich die wohlige Gänsehaut, die sich schubweise mit dem ungleichmäßigen Gewimmer des Rear Tires von Schwantz, vom großen Zeh bis ins letzte Haar breit machte, während wir wie Groupies am Zaun der Fahrerlagerkurve hingen.

Eine High Speed Kurve konnte ihren Spektakel nur dadurch steigern, dass noch schnellere Fahrer, andere, auch schon recht flotte Fahrer, - außen rum - überholten. Phantastisch! Atemberaubend!

Schwantz, wie ein Komet, außen rum am halben Feld vorbei durch die Fahrerlagerkurve. In dessen Schweif konnten sich nur noch Lawson und Rainey tummeln. Für den Rest schien die Luft dort zu heiß zu sein.

Mein Kumpel und ich sahen uns verklärt in die Augen.
Mit diesem ?Kometen Slide? war Kevin, und das wahrscheinlich nicht nur uns, vom Bewusstsein direkt in einen unlöschbaren Ort im Herzen gelandet.

Kaum erwähnenswert, wie Kevin am nächsten Tag nach drei Runden seine Führung ausbaute, und ungefährdet einen Sieg im Rennen nach Hause fuhr.

Das einzige was die Stimmung hätte trüben können, war das Vabanquespiel mit dem Wettergott für uns, oder die sich nicht öffnen wollende Champagnerflasche für den Sieger Schwantz!

Prall gefüllt mit Emotionen machten wir uns auf den Weg in die Kneipe. Wir hatten keine Eile, ein unschätzbarer Vorteil.
Und das Beste - am Montagmorgen machten wir uns direkt auf in Richtung Rijeka.


"Serious sport has nothing to do with fair play. It is bound up with hatred, jealousy, boastfulness, disregard of all rules and sadistic pleasure in witnessing violence: in other words it is war minus the shooting."

 
Ar-one
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