#9.. Der Weg ist das Ziel

#1 von Ar-one , 06.03.2015 20:23

Mein Kopf am nächsten morgen fühlte sich an, als hätte der Kneiper am Abend zuvor, von ?Edelpils? auf ?regular Bölkstoff? gedreht. Jedenfalls tickte meine Birne, als hätte ich sie eine Nacht in Bremsenreiniger eingelegt.
Das wurde auch nach einem kräftigen Frühstück nicht besser, und bis zum Tauerntunnel fühlte ich mich wie in einem 22Tonner, der die kompletten 2 Weltkriege überstanden hatte.

Wie zum Trost, trafen wir auf der Tauern Autobahn noch einige Teammitglieder aus verschiedenen Teams. Köche, Mechaniker, Fahrer, in all ihren bunten Ducados, Sprintern oder Trucks. Je nach Platzierung ihrer Fahrer, sahen sie aus wie wir, nämlich wie zwei zerkaute Hundeknochen, die sich hilflos festklammernd in einem alten, roten Golf durchschütteln ließen.
Die meisten aber waren fit wie Turnschuhe, und schliffen in Gedanken schon die entscheidenden Hundertstel für Rijeka von der Ein- und Auslass Seite ab.
Das gewaltige Alpenpanorama tat sein übriges, und half uns, langsam aber stetig, den fürchterlichen Kater etwas zu besänftigen.

Die Kilometer zogen sich schläfrig dahin, und verleiteten uns darüber zu spekulierten, was wir in ?Jugoland? so alles erleben würden. Im Hinterkopf steckte noch ein sachter Zweifel über die Kollateralschäden, die vor meiner neuen Zylinderkopfdichtung eventuell entstanden, und genau hinter der Grenze im tiefsten Abenteuerland bei den Jugos ihren Tribut zollen könnten. Aber was soll?s. Die Aussicht auf einen Live GP mit Schwantz und Rainey ließen selbst die dunkelsten Vorahnungen mit wärmendem Glanz erscheinen.

Wir waren noch nie in Jugoslawien. Wussten nur, dass es dort schöne Frauen mit scharfen Chevapchichi Figuren geben musste, die uns allein mit einem gutturalen ?Hallo, mein Süßäääär.? um den Finger wickeln würden.
So jedenfalls erzählten es die zahlreichen Gastarbeiter, die sich seit Jahren im Süden Deutschlands niedergelassen hatten. Doch so etwas musste natürlich aus erster Hand geprüft werden. Unsere Laune wurde mit jedem Kilometer besser und irgendwann nach Villach standen wir auch schon an der Grenze zu Slowenien. Grenze und Mautstelle um genauer zu sein.

Der Zahlmeister babbelte was von irgendwelchem Dinar, die er für die Autobahn wollte. Da wir uns aber die letzten Tage hauptsächlich für Motorräder und nicht für irgendwelchen Dinar interessiert hatten, schauten wir erstmal blöd aus der Wäsche.
Erst als wir seinen gierigen Blick sahen, nachdem ich umständlich einen zerknitterten 10 Mark Schein aus der Hose hervorgezaubert hatte, wurde uns klar, dass wir uns mit dem Umrechnungskurs etwas näher beschäftigen mussten. Das dicke Bündel, mit allerlei bunten Dinarscheinen als Wechselgeld, lies nur gutes für uns ahnen.

Später stellte sich heraus, dass der Wechselkurs zu dieser Zeit, rasant wie eine Zündschnur, in Richtung Inflationsgau brutzelte. Für uns war das ein echtes Schlachtfest der Währung. Unsere gute alte DM auf den Euroschecks wurde ja damals erst nach Tagen auf dem Konto verrechnet, was uns fast ein Drittel bis Hälfte weniger vom ursprünglichen Wert bescherte.
Weiter ging?s, über Jesenice in Richtung Ljubljana, von dort in Richtung Trieste.
Zwischendrin, bei Postojna runter von der Autobahn und ab da immer dem Zauberwort ?Rijeka? hinterher.
Auf der grenzwertigen ?Rui de Katastrophal? konnte sich mein tattriger Golf noch mal richtig bewähren. Ein tiefer gelegtes Edelteil wäre der glatte Horror gewesen. Schlaglöcher wie Kometeneinschläge, und über den Griplevel konnten sich höchstens Eisschnellläufer freuen.

In der nächsten Kurve kam uns ein Opa mit Schreckgeweiteten Augen und halb als Geisterfahrer entgegen geeiert. War der besoffen? Oder verlor mein alter Golf schon diverse Einzelteile? Wäre wohl besser, ich checke den Hobel mal durch. Also, da wir uns eh schon seit geraumer Zeit nach einem einladenden Steak&Frites, oder besser gesagt, Chevapchichi&Frites umschauten, hielten wir nun eben sofort an.

Ich war noch nicht mal mit beiden Beinen aus der Karre geklettert, als ich mich mit einem Zirkusreifen Spagat zwischen Längsträger und Straße, mehr hilflos als rettend, an der ausgeschlagenen Autotür festklammerte.
Mein Kumpel auf der Gegenseite lag schon auf der Fresse und fluchte wie ein Berserker.
Der Asphalt hier war so spiegelglatt, dass ich mich über die bisher schadlos zurückgelegten Kilometer nur wundern konnte. Der Wahnsinn!

Gerade, als das Entsetzen in unseren Augen einer belustigenden Konsterniertheit gewichen war, hörten wir eine Gruppe Motorradfahrer anrücken.
Shit Happends, die werden doch nicht ahnungslos auf diese Kurve zu heizen. Plötzlich Totenstille. Nach einer unendlich zähen Schreckminute tuckerten uns, langsam säuselnd, die ersten Mopedfahrer, mit beiden Füßen am Boden schleifend und wie auf rohen Eiern balancierend, entgegen.
Die irre flackernden Blicke hinter den Visieren, ließen auf eine Begegnung mit dem Leibhaftigen schließen.

Ich wagte nicht dran zu denken, wie viele Motorräder in den nächsten Tagen, rund um Rijeka, in den Gräben versenkt werden würden.
Später hörten wir von einem Insider, dass sich bei länger anhaltender Trockenheit eine gefährliche Mischung aus salzhaltiger Luftfeuchte und sonstigem Gummizeugs auf der Straße bildet.

Gut, dass man wenigsten danach erfährt, warum man bei harmloser Geschwindigkeit hätte um einen Baum gewickelt werden können.


Ab diesem Moment wurde unsere Risikostufe von Unbeschwert auf Wahnsinn gesetzt, und der angeborene Killerinstinkt für die Straße wurde hauptsächlich auf mögliche oder unmögliche Auslaufzonen vor den Kurven, und jederzeit möglichen Flugobjekten in den Kurven, gelenkt.

Mental ausgepowert wie zwei Fluglotsen, die alleine den Frankfurter Flughafen bei Urlaubsbeginn umdirigieren mussten, erreichten wir die Steilküste vor Rijeka. Der atemberaubende Blick über die Kvarner Bucht begleitete uns die lange Abfahrt runter in die Stadt. Schon von weitem roch man den Duft mediterraner Nonchalance.
Das Meer gluckste und schäumte vor Glück. Alles schien in bester Ordnung zu sein. Nur der Gedanke, auf einem Teil der früheren Rennstrecke des GP von Opatija zu fahren, lies uns, in Erinnerung der letzten Stunden, ehrfürchtig Erschaudern.

Als blutige Kroatien Neulinge wären wir fast so belämmert gewesen, uns eine Bleibe im erst besten Rijeka Angebot zu nehmen, anstatt etwas weiter nach Opatija zu fahren, um dort, in dem quirligen Touristenstädtchen eine Bleibe zu suchen.
Gott sei Dank war das erste Angebot in Rijeka so grottenschlecht, dass wir förmlich zu unserem Glück nach Opatija getrieben wurden.

Die ?Côte d`Azur? von Kroatien zeigte sich von ihrer besten Seite. Wir wohnten in einem großen, alten Gebäude, das erst beim Blick in den Hinterhof, die unzählig verschachtelten Wohnungen in diesem Gebäudekomplex deutlicher aufzeigte.
Eine älter Dame empfing uns freudestrahlend und zeigte uns ihr, wahrscheinlich, eigenes Schlafzimmer, das sie in der Urlaubszeit an Touristen vermietete.

Morgens kredenzte sie in weißen Handschuhen einen abscheulichen Kaffee, der mit etwas Wurst und Käse auf einem undefinierbaren Gebäck eingenommen werden konnte.

Sie meinte es natürlich gut mit uns. Nur wir waren noch nicht wirklich in der Kroatischen Realität angekommen, und träumten noch etwas naiv von deutschem Bohnenkaffee und schwäbischen Laugenbrezeln.
Der Zahn war aber schnell gezogen, denn auch in den umliegenden Kaffees und Fünf Sterne Hotels gab es selten eine anderer Brühe als die von unserer Gastgeberin. Hätte ich mal besser meinen Kofferraum mit Mövenpick Kaffee voll gepackt, dann wären uns nicht nur alle Türen offen gestanden.

So mussten uns die adretten Promenaden Schönheiten den bitteren Geschmack des Kaffees versüßen. Das gelang ihnen auch bestens. Noch bevor wir übers Brot meckern konnten, fühlten wir uns, dank dieser schwarzhaarigen Gazellen, schon längst pudelwohl in dieser immer noch vom realen Sozialismus Titos bestäubten Region.

Die Symbole der aufkeimenden, freien Marktwirtschaft, wurden uns in Form großer Werbetafeln, die an jeder Ecke und fast jedem Restaurant prangten, aufgezeigt. Erster ?Boxenstopp? wurde bei ?Rothmanns? absolviert. Der Kaffee Melange war absolut genießbar und die Aussicht, dank der Nähe zum Busbahnhof, mehr als interessant.
Nach diesem ersten Einchecken, wollten wir der Rennstrecke in Grobnik auf die Pelle rücken. Auf der Autobahn Richtung Zagreb sah man schon von weitem, links neben der Autobahn, eingebettet in felsiges Hügelland, die Rennstrecke liegen. Zumindest versprach das keine ?Eier suche? wie beim Salzburgring. Direkt von der Autobahn runter ins Motodrom.


"Serious sport has nothing to do with fair play. It is bound up with hatred, jealousy, boastfulness, disregard of all rules and sadistic pleasure in witnessing violence: in other words it is war minus the shooting."

 
Ar-one
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zuletzt bearbeitet 26.09.2022 | Top

   

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