#_11.. Eine Tür mehr zum Olymp

#1 von Ar-one , 06.03.2015 20:21

Der Anruf kam an einem frostig kalten Tag, Ende September.

„Hey Alter, hast mal Bock uff Rennstrecke? So richtig mit selber fahren?“ knarzte Kumpel Ecky in die Muschel.
Er wohnte in Berlin, und kannte da ein paar andere Berliner Motorradfahrer. Die wiederum kannten einen Österreicher, der „Race for Fun“ in Brünn veranstaltete.

Meine RD500 war gedanklich schon für den Winter eingemottet. Es brauchte also eine Nacht bis ich das verdaut hatte. Wie soll ich das ganze organisieren? Was brauche ich da alles? Fragen über Fragen. Wie ein Esel vor der Apotheke stand ich da. „Alles kein Problem“, meinte Ecky. Man brauche nicht viel zu machen. Blinker und die Rückleuchte müssten abgeschraubt werden. Werkzeug hätten sie dabei. Ich müsste nur noch hinfahren, ein paar Märker zahlen, und fertig. Er hätte seine RD500 auf nem Hänger, und käme mir irgendwo zwischen Nürnberg und Regensburg entgegen. Dort würden wir umladen und zu zweit, im Auto mit Hänger, nach Brünn tuckern.

Bei Fragen wie - was ist, wenn ich das Ding im Kiesbett versenke, oder noch schlimmer, ich mir selbst ein paar Gräten verbiege - ging ich tief in mich und überließ meinem untrüglichen Bauchgrummeln die Entscheidung.
Eine so unverhoffte Gelegenheit, endlich mal selbst auf der Rennstrecke zu heizen, durfte ich mir nicht gleich wieder entgehen lassen. Den idealen Zeitpunkt gab es eh nie. So jedenfalls, redete ich mir die trüben Wetteraussichten schön. Das wird ein Höllentrip - Keine Frage. Aber - no risk no fun - war die Devise.

Freitagmorgens, 5:30, kalte Herbstbegrüßung.
Die vier Tüten der RD500 drückten dicke Wolken in den dunklen, froststarren Herbstmorgen. Während ich mir schlotternd meinen Freddy Spencer Gedächtnis Arai über den Kopf zog, blubberte meine Yamsel schon freudig im Standgas vor sich hin. Es dauerte nicht lange, und die Vorfreude fing auch mich an aufzuwärmen. Ein seltsamer Moment. Kein normaler Mensch steigt morgens um diese Zeit, bei diesem Wetter, auf ein Motorrad. Es wie denn, er wird mit Waffengewalt dazu gezwungen.
Doch merkwürdigerweise vermischten sich die Ungewissheit, das Risiko, ja - das Neue - zu einer Droge, die die Endorphine schneller freisetzte, als sie Bedenken zuschütten konnten.

So knatterte ich, mit positiven Hormonen überschwemmt, durch den Berufsverkehr von Stuttgart Richtung Heilbronn. Am Weinsberger Kreuz rechts ab nach Nürnberg, wo sich endlich auch die Blechlawinen etwas lichteten.

Der zaghafte Sonnenaufgang zog mühsam die letzten dunklen Schleier weg und fing an, meinen zu Stein gefrorenen Körper wieder etwas aufzutauen. Länger hätte es nicht mehr dauern dürfen. Gerade so eben konnte ich noch das rechte Handgelenk nach unten drehen. Zum Bremsen hätte ich keinen Finger mehr überreden können. Aber, was soll’s, wer bremst verliert sowieso!

Meine zusammengekauerte Rennhaltung wurde nur durch den blöden Rucksack gestört. Doch sonst war diese Haltung, besonders wenn die Tachonadel an der 250 km/h Marke wackelte, äußerst Entspannend. Nur an den Händen und am sensiblen Hintern spürte man leicht, wie das Fahrwerk an einem stressfreien Geradeauslauf arbeitete.

Die etwas zu dünne Gabel und das 16 Zoll Vorderrad, verbunden mit einem längsseitig, unterm Motor verbauten, Federbein, ließen das durchaus akzeptable Ergebnis an Stabilität im Hochgeschwindigkeitsbereich, so nicht vermuten.
Solange man den richtigen Vorderreifen drauf hatte, und den Kopf möglichst hinter der Verkleidung ließ, blieben unliebsame Überraschungen jedoch aus.

Die vielen Kilometer durch den Schwarzwald, auf meiner Hausstrecke, zeigten ihre Wirkung. Schnell stellte ich dort fest, wie man die Sitzposition anpassen musste, damit die RD500 keinen Eiertanz anzettelte, sondern Spaß machte.
Einfach drauf sitzen wie ein Racer. Oberkörper möglichst weit über den Tank, und mit dem Fußballen auf den Rasten stehen. So kann der Hintern, wenn es unten am Fahrwerk zu werkeln beginnt, auch noch als Verstärkung oder Entlastung dienen. Insgesamt war das Fahrwerk aber in Ordnung. Wer, wie ich, schon einige Mutproben auf der Kawa Z1000 bestanden hatte, fühlte sogar eine regelrechte Steigerung.
Wichtig war nur, dass der ganze Körper als ergänzendes Fahrwerkselement verstanden wurde. Wer wie ein Kartoffelsack, unbeweglich und schwer, auf einer Position verharrt, wird nie ganz glücklich werden auf diesem Motorrad.

Die bei Auslieferung OEM bestückten Yokohama Reifen passten vorzüglich zum Motorrad und gaben mir schon damals einen Vorgeschmack auf das Thema: spezielle Reifen für spezielle Motorräder. Gott sei Dank hatten sie verdammt viel Grip, aber schmolzen deshalb auch leider weg wie Schnee in der Sonne.
Alternativ die Metzeler, waren zwar standhafter und mit compK Mischung auch Griptauglicher, aber speziell der Vorderreifen dermaßen empfindlich, sobald seine schräg angeordneten Grätenprofile etwas ausgefahren waren. Eine absolut saubere Herstellung, inklusive Auswuchtung war zwingend notwendig. Nicht nur einmal, gaben wir (kulanter Händler vorausgesetzt) den Reifen wegen Unfahrbarkeit zurück, und erhielten einen Ersatz, Anstandslos, wenn‘s über einen Händler ging. Denn das Problem war anscheinend bekannt.
Zudem gab es die Möglichkeit, hinten einen 150iger anstatt dem 130iger zu montieren. Mit Freigabe, wenn der Reifen von dem Händler gekauft wurde, der sich einmal die Freigabe machen ließ.

Der Zuwachs an Breite war natürlich eher theoretischer Natur, denn der Reifen wurde auf eine spindeldürre Felge gezogen, die das meiste der 20 Mehrmillimeter auf die Seite bog. Aber ein bisschen satter sah er schon aus, der ME99. In Konkurrenz zu dem gewaltigen Sitzhöcker, der in einer harmonischen Linie, außer den zwei mächtigen Resonanzbirnen der hinteren Zylinder, auch noch eine viereckige Rückleuchte mit davor integriertem Freiraum für kühlenden Luftstrom und das Bordwerkzeug verdecken musste, schlicht chancenlos.

Doch der ME99 hatte noch einen anderen Vorteil. Er gab in Schräglage das entscheidende Stück mehr Vertrauen, was bestimmt auch an der jetzt breiteren Seitenflanke lag.
Also endlich die richtigen Voraussetzungen, um mir den eigenen Ritterschlag zu verpassen, an dem kein Fahrer mit Einteiler Lederkombi und Knieschleifern vorbeikam.
Zu dieser Zeit waren Knieschleifer noch eine Sensation und nur bei Einteilern zu haben. Man konnte sie wegreißen, um demonstrativ zu zeigen: Ich brauch das nicht!
Oder man ließ sie dran, und outete sich als jungfräulich unerfahren, oder schlicht als unfähig.
Wegreißen kam für mich nicht in Frage, rüttelte es doch zu sehr an meinem Selbstverständnis als Motorradfahrer, der ich mit Leib und Seele war. Entweder ich bekomme das gebacken, oder ich verkaufe das Teil sofort.
Man wächst an den vorgesetzten Aufgaben, oder scheitert.

Ich wusste nur zu gut, dass ich für ein Rennfahrerleben viel zu alt war. Und, dass ein potenzieller Rennfahrer nicht nur Talent, sondern auch das nötige Umfeld braucht. Doch ohne die Gewissheit, wenigstens im Ansatz einige Voraussetzungen an Talent und Speed zu bringen, wollte ich mein Motorradfahrerdasein nicht mehr fristen. Dazu gehörten für mich ein abgeschabter Knieschleifer, sowie zwei bis zur Kante rundum angefahrene Reifen.

Beides setzte Speed, Schräglage und eine gehörige Portion Merkbefreiung, im nach StVO genormten Straßenverkehr, voraus.

Wie viel Speed man wirklich braucht, um mit dem Knie am Boden zu landen, stellte ich bei der Suche nach der geeigneten Kurve fest. Schließlich sollte die Bodenberührung mit einem sauberen Hang Off, und nicht mit übertriebener Turnakrobatik gemeistert werden.
Ist die Kurve zu langsam, wird das Ganze zu kippelig, und unberechenbar, sobald ein gewisser Schräglagenwinkel überschritten wird. Ist die Kurve zu schnell, scheitert man meist am Vertrauen zu sich selbst, oder dem zum Motorrad. Aber schnelle Kurven vermitteln viel exakter die gesamte Stabilität des Fahrer/Maschinen Pakets.

Für die RD500 waren Kurven im Bereich zwischen 120 u. ca. 150 km/h am ehesten geeignet.
Man suchte sich eine geeignete Kurve, die man inn- und auswendig kennt. Die keine unangenehmen Überraschungen bietet, und die man in sämtlichen Geschwindigkeiten „erfahren“ hatte.

Ebenso, sollte sie nicht dauernd von anderen Verkehrsteilnehmern frequentiert werden. So dass man sie in Ruhe immer wieder durchfahren kann, ohne nennenswert aus dem Rhythmus zu kommen. Dazu gehören auch gute Umkehrmöglichkeiten. Der beste Fall wäre, eine Kurve in einer Richtung zu durchfahren, 200m später umkehren, auf die andere Straßenseite wechseln, und die Gegenrichtung durchfahren. Dort wieder einen guten Punkt zum Drehen finden, und das Ganze wieder von vorne.

Diese Wiederholungen geben Sicherheit in der Linienwahl, in der Geschwindigkeitsanpassung und, ganz wichtig, in der Körperposition.
Der Mensch als Fahrer hat immer mit der psychischen Diskrepanz, zwischen seiner gefühlten Schräglage und der realen Schräglage, zu kämpfen.

Ist der Körper über einem bestimmten Winkel in Schräglage, kann der Gleichgewichtssinn nicht mehr mithalten, und signalisiert in dieser unsicheren Schwebeposition einfach nur - Alarm!

Wenn man Glück hat, meldet sich, vor dem Knie, ein anderes Teil mit Bodenberührung. Dadurch wird man einerseits darauf Aufmerksam gemacht, die Hang off Position zu korrigieren. Andererseits, wenn man Pech hat, wird aus der Warnung gleich ein konsequentes Ergebnis abgeleitet, und man kann nur noch auf ein glimpfliches Ende hoffen, was auf der gewöhnlichen Straße böse enden könnte.
Deshalb, mal schnell das Knie am Boden - iss nicht! Außer man hat mindestens so endlos lange Beine wie Naomi Campbell.

Was noch erschwerend dazu kommt: es ist nicht jedes Motorrad dafür geeignet. Für die damaligen Verhältnisse war die RD500 zwar als „sportlich“ ausgelegt, aber verglichen mit heutigen Verhältnissen, konnte für diese „sportliche“ Auslegung, bezüglich Fahrwerksgeometrie und Fahrerposition, nur ein müdes Lächeln geerntet werden.
Die RD500 war optisch „sportlich“, aber vor allem alltagstauglich. Zumindest von der Sitzposition aus gesehen.

Die vielen Wiederholungen durch meine auserwählte Kurve, brachten mir eine wertvolle Routine im Zusammenspiel: Schräglage - RD500 - und meinem Hang off.

Deshalb traf mich das hell kratzende Geräusch des aufsetzenden Seitenständers und anschließend die Resonanzbirne nicht wirklich unvorbereitet. Ich wusste vorher schon, dass ich eine richtig gute Schräglage setzte. Mit den Fußballen auf den Rasten, schrammte ich die seitlichen Stiefelschleifer auf. Also kann nicht mehr viel kommen. Nur, warum spüre ich nichts am Knie?

Die relativ entspannte Sitzposition auf der RD500 kommt unter anderem auch deshalb zustande, weil die Fußrasten nicht so weit hinten liegen, und dadurch die Beine nicht so eng angewinkelt werden müssen wie auf einer richtigen Rennmaschine.

Dies hat für den Möchte gern Racer zur Folge, dass er immer in einem gewissen Positionsnachteil steckt, den er mit seinem Hang off ausgleichen muss.

Also, den Hintern noch ein Stück weiter raus, und einen Tick schneller durchs Eck.
Passt! Die erste Berührung am Schleifer!
War das Zufall? Gleich noch mal versuchen.

Unglaublich, wie sauber das alles funktioniert, wenn das erste, positive Versuchsergebnis im Hirn angekommen ist. Auf einmal war die psychische Barriere verschwunden. Sie war nicht mehr Notwendig. Als hätte meine Psyche nur drauf gewartet, endlich durch einen neuen Schräglagensensor entlastet zu werden, schmetterte ich meine RD500, mit einer sauberen Punktlandung, auf dem Knie, ins Eck.

Die Synapsen im Kleinhirn waren gelegt. Fortan fuhr ich mit einem neu generierten Koordinatensystem im Kopf durch den Schwarzwald.
Das ging natürlich nicht immer und überall. Doch es wirkte sich auf meine komplette Fahrweise aus.

Ich hatte ab dem Moment eine bessere Möglichkeit gefunden um meine Schräglage zu fixieren, bzw. hatte eine verlässliche Referenz für die mögliche Schräglage, bevor die Resonanzbirne und der Seitenständer aufsetzten.

Es mag kindisch klingen. Aber diese Erfahrung war eine der wichtigsten in meinem Motorradfahrerleben. Eine der existenziellsten. Zeigte sie mir doch, wie viel auf einem Motorrad möglich war, und wie viel die Psyche dabei den Ausschlag gab.

Ich hatte eine neue Tür aufgestoßen.


"Serious sport has nothing to do with fair play. It is bound up with hatred, jealousy, boastfulness, disregard of all rules and sadistic pleasure in witnessing violence: in other words it is war minus the shooting."

 
Ar-one
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