#_12.. Im Rausch der Sinne

#1 von Ar-one , 06.03.2015 20:20

Wir trafen, wie geplant, fast zur gleichen Zeit an der Autobahnraststätte ein. Erst mal ?Tass Kaff? mit etwas Geplauder. Dann, etliche Glimmstängel später, luden wir meine RD500 auf den Hänger. Sahen aus wie zwei eineiige Zwillinge, die beiden RD500 im Doppelpack. Und ab ging?s zu den Tschechen nach Brünn.

Am späten Nachmittag trudelten wir an der Rennstrecke ein.
Alles war bestens organisiert. An der Schranke zum Fahrerlager drückten wir unser Startgeld ab und füllten das obligatorische Dokument aus, das den Betreiber aus jeglichen Regressansprüchen entband. Aber - hey - wir waren freiwillig bereit, uns in den Wahnsinn zu stürzen. Also, was soll?s.

Die letzten Heizer brüllten gegen den Sonnenuntergang die Zielgerade runter. Allein der Sound der offenen Straßentüten, zog uns schnurstracks durch die Boxen hindurch zu der langen Boxenmauer.
Wie immer, wenn ich zu einer Rennstrecke kam, überzog mich die Atmosphäre mit einem wohligen Schauer, der von den Zehen bis zur letzten Haarwurzel bebte. Doch diesmal kam auch noch die Mischung aus Erfurcht und Angst dazu. Schließlich wollte ich morgen selbst auf dieser Strecke fahren. Doch wie würde ich mich da anstellen? Die wildesten Versionen durchzuckten meinen Schädel, und ich hoffte inständig, nicht als verkümmerter Wurmfortsatz, der allen im Weg herumstand, zu enden.

Es war noch gar nicht lange her, erst im August, als ich auf der anderen Seite, am Hang rauf zur Zielgeraden, saß.
Kevin Schwantz und Wayne Rainey waren die aktuellen Heros, und wir konnten sie und ihre Kollegen, in Gesellschaft von mindestens 10 Millionen Wespen, die nicht nur jede Mülltüte, sondern auch jeden zweiten Arsch im Gras attackierten, life beobachten. Eigentlich war Rainey so gut wie Weltmeister. Schwantz konnte nur noch mit ?Augen zu und durch? Taktik jedes Rennen gewinnen, und hoffen, dass Rainey den einen oder anderen Ausfall produziert.
Vielleicht war ja ein Schwarm Wespen unterwegs, die den runden Lucky Strike Kleber auf Kevins Helm, mit einer besonders saftigen Mahlzeit verwechselten. Jedenfalls flüchtete Kevin in der dritten Runde schon ins Kiesbett, als wären Heerscharen von Wespen in seinen Helm geflogen.
Wieder mal war die WM für Schwantz abgehakt.

Doch zumindest durften wir am ersten WM Titel von Wayne Rainey teilnehmen. Ich denke, es gab an diesem Tag nicht viele Rennfans, die ihm diesen Titel nicht gegönnt hätten.

Nun stand ich selbst kurz davor auf dessen Spuren zu wandern.
Den gleichen Asphalt wie die Heros zu befahren, wenn alles noch so real im Gedächtnis haftete, war schon ein überragendes Erlebnis.

Und hey - selbst wenn ich im Kiesbett wühlen müsste, da liegt bestimmt der Kiesel, den auch Kevin Schwantz schon mal berührte. Wäre das nicht auch etwas besonders?

Die Burschen, die allerdings hier herum herumliefen, allesamt in Rennmontur und abgeklärten Blicken, ließen mich, den blutigen Rennstrecken Anfänger, unbewusst spüren, was für eine kleine Rennstreckenleuchte ich noch war.
Dazu das Anglerlatein für Motorradfahrer. ?Ey Mann, ey, als ich die Bergab rechts durch bretterte, stand da so ein Depp im Weg herum - wäre fast draufgeknallt. Hat meine beste Rundenzeit versaut??.
Oder Sprüche wie: ?He Alter, morgen zeig ich?s dir. Ich hab die neuen Vergaser von XYZ dran. Ich mach dich nass! Und wenn ich im Kiesbett lande.? Weiter ging?s mit, ?Weißt du noch, im Sommer, als wir wie die Gestörten, ähnlich Schwantz und Rainey, in diese und jene Kurve nebeneinander einbogen. Und keiner hat das Gas zugemacht?, schau her meine Narbe davon am Arm!?
So ging das den ganzen Abend in der Box bei der After Race Party. Mir wurde nicht nur von der Pilzen Plörre ganz schwindelig. Auf was hatte ich mich da bloß eingelassen? Die machen mich alle rund morgen. Ich werde gesteinigt, geteert und später sicher noch gefedert.
Wären wir nicht 800 km von zu Hause weg gewesen, ich wäre spätestens jetzt abgedampft und hätte mich für immer und ewig mit dem Schwarzwald zufrieden gegeben.
Aber mein Schicksal wollte es anders.

Nach einer unruhigen Nacht, in der ich mehr mit den Gespenstern, die mich rechts und links überholten, zu tun hatte, zog ich den ersten Kaffee im Streckenrestaurant durch meinen nervösen Magen. Wenigsten war die braune Brühe genießbarer als das Zeugs in Rijeka.
Zu einem Frühstück reichte mein blockiertes Hungergefühl noch nicht. Die Unruhe wurde immer stärker.

Einige Frühaufsteher wärmten ihre Maschinen auf. Das Streckenrestaurant und Boxenareal füllte sich langsam mit bunten Gestalten.
Da war alles dabei. Vom schnöden, abgehalfterten Mopedinfizierten, über die etablierten Motorradhändler mit Gefolgschaften und allerlei edlen Teilen, bis zu illustren Gruppen, die ohne viel Phantasie im Rotlichtmilieu angesiedelt werden konnten, denn die hatten nicht nur edle Teile mit zwei und vier Rädern, sondern auch noch ihre edelsten Pferdchen als Groupies dabei.

Als ich in die Box kam, waren die anderen schon heftig am werkeln.
Hier noch ein bisschen drehen, dort noch ein Tröpsche Öl. Da etwas mehr Zug,- dort etwas weniger Druckstufe.
Prall gefüllte Werkzeugkisten standen im Weg herum. Die Boxenwand war mit Ersatzrädern und Reifen eingesäumt. Gelegentlich sah man schon die Reifenwärmer dran. Die Mopeds, ohne Räder aufgebockt, warteten nur noch auf die Entscheidung ihrer Fahrer, welche Mischung, Trocken oder Regen, aufgezogen wurde. Tja, man gab sich Professionell hier.
Meine RD 500 stand einsam und verlassen in der letzten freien Ecke der Box. ?Hey altes Mädchen, kann ich dir alles nicht bieten? sprach ich in Gedanken zu ihr, während ich sie in Position schob. Den einzigen Luxus, den ich ihr bieten konnte, musste nämlich zu meiner Brieftasche und in den kleinen Rucksack passen. Also, 1Liter ELF Competition halbsynthetisches Zweitaktöl, und einen Satz neue NGK Zündkerzen. That?s it!

Die Blinker, Rückleuchte und Spiegel waren schon weg. Also checkte ich nur noch Öl und Sprit.
Ich hasste die Schrauberei, wenn nicht die erforderlichen Werkzeuge und Gegebenheiten vorhanden waren.
Es gab aber welche, bei denen war ich mir nicht sicher, ob sie nicht eher wegen der Schrauberei, anstatt wie anfänglich vermutet, der Fahrerei, hier waren. Die lagen unter ihrem Teil, als wollten sie einen kompletten Rundum Check, bis in den letzten Winkel des Motors machen. Dabei ging es doch nur um ein paar Race for Fun Runden, die vor allem eines bringen sollten: Nämlich FUN!

Die Strecke wurde für ?Freies Fahren? geöffnet.
Es gab noch keine Instruktoren, die die unerfahrenen Rennstreckenneulinge um den Kurs zogen. Da hieß es: ?Friss oder stirb?. Wobei Wert darauf gelegt wurde, das Letztere nicht an der Strecke zu machen. Wegen dem Behördenkram usw.

Im Klartext hieß es, dass alles was zwei Räder hatte auf die Strecke bolzte. Die erste halbe Stunde wollte jeder sein nächtlich angestautes Adrenalin rausballern. So jedenfalls vermittelte es das hektische Gewusel, das überall in den Boxen herrschte.
Ich hatte es noch nicht so eilig, und wollte eigentlich warten bis nicht mehr so viel los war. Doch an der Boxenmauer konnte ich nur schwer einschätzen was nun wirklich Sache war auf der Strecke. Es knallten nacheinander die GSX-R?s, RC 30, Ninjas, FZR?s und gelegentlich auch ein paar Zweitakter die Zielgerade runter. Kaum ein paar Sekunden später die nächste Salve. Es wurde das Gefühl übermittelt, die Strecke wäre proppenvoll. Erst als ich selber drauf war, erschloss sich mir das Ganze Spektrum aus der Sicht des Mitfahrenden. Da sah es nach weit weniger aus, weil man nur Diejenigen mitbekam, die einen Überholten, oder die, die man selbst überholte.

Die ersten Meter auf der Rennstrecke waren überwältigend.
Der erste Gedanke: ?Mann - ist die breit - Mann!?
Der zweite: ?Wo sind denn die Autos??
Und der dritte: ?Gib alles - Mann!!?

In Brünn fährt man unten an der Zielgeraden, kurz vor der Startkurve auf die Strecke. Es empfiehlt sich, am Anfang nicht gleich zu übertreiben, denn sonst ackert man sofort im gegenüberliegenden Kiesbett weiter. Die Startkurve rechts ist nämlich keine 90° Kurve, die tangential in die Bergauf Gerade überläuft, sondern sie geht ein Stück weiter in Richtung 120°, um dann in die Bergauf Gerade zu laufen. Weil die Strecke aber so breit ist, täuscht dieses Geometrische Muster.

Zuerst fixiert man nur die Bergauf Gerade und lässt sich von dieser Perspektive dazu verleiten, den größeren Radius, und die Ecke der Kerps zu ignorieren, und zu schnell links auf die Bergauf umzulegen. Muss man aber korrigieren, um nicht über das nicht beachtete Stück Kerps zu rauschen, ist der saubere Übergang auf die Bergauf Gerade dahin.

Nun, zu diesem Zeitpunkt wusste ich das alles nicht. Ich hatte noch kein Gefühl für die Strecken Charakteristik insgesamt, und genau genommen, noch gar kein Gefühl für die Rennstrecke.
Im Schwarzwald fahre ich schneller, aber die Kurven sind nicht so absolut und zahlreich. Hier auf der Rennstrecke ist das Beschleunigen und Abbremsen viel enger verzahnt.
Vor allem ist man am Anfang oft noch überrascht, wie schnell die nächste Kurve schon wieder da ist. Das heißt, man muss am Anfang erst ein paar Runden drehen, um ein Gefühl für die nacheinander auftretenden Beschleunigungs- und Bremsphasen, in Verbindung mit den dazugehörigen Kurvenkombinationen, zu bekommen. Dass dabei die Justierung der Feinmotorik, und vor allem der grauen Zellen, die das alles aufnehmen, verarbeiten und nebenher die gewünschte Verbesserung in den Zwischenspeicher ablegen mussten, an ihre Grenzen stößt, erklärt sich durch die konditionelle Herausforderung, die nach der dritten Runde ihren Tribut zollt.
Man nennt es auch vereinfacht: einen guten Rhythmus finden.

Die Brems- und Beschleunigungsphasen sind eine Sache. Die Kurven und Kurvenkombinationen, eine andere.
Zusätzlich war ich immer noch mit den Geistern der unruhigen Nacht beschäftigt. Wie lasse ich den schneller Fahrenden genug Platz. Wo stehe ich gefährlich im Weg. Alles Fragen, die mich in den ersten paar Runden mehr beschäftigten, als alles andere.
Erst als mir immer mehr Fahrer auffielen, die eigentlich mir im Weg standen, sah ich es von einer anderen Warte aus. Zuerst dachte ich, die hätten ein technisches Problem. Glaubt man doch, nach den Parolen des Vorabends, nur von Vollgasprofis umgeben zu sein. Doch mit der Zeit stellte sich heraus, die fahren immer so!
Also, überholte ich an einer geeigneten Stelle, und überlegte mir, was wohl passiert wäre, wenn dieser Langsamere sich ebenfalls Gedanken gemacht hätte wie er einem schnelleren Platz machen könnte. Im schlimmsten Fall hätten wir Beide etwas Gegensätzliches ausgeheckt und es wäre 100% schief gegangen.
Also entschloss ich mich, mir überhaupt keine Gedanken mehr über den Hintermann zu machen. Wer schneller ist kommt immer vorbei. Aber es gibt nichts Schlimmeres für den Überholenden, als wenn aus einer berechenbaren Situation des Vordermanns, eine unberechenbare Zick Zack vorbei winke Aktion wird.

Überhaupt, war es nach dieser Erkenntnis bedeutend entspannter zu fahren, und man konnte sich endlich auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren.

Wie schon erwähnt, ist Brünn eine relativ breite Strecke. Das klingt auf den ersten Blick recht positiv. Doch mit der Zeit erkannte man die unendliche Freiheit der Linienwahl, die durch die immense Breite nicht einfacher wurde.
Die Kurven sind wie am Reißbrett gezogen. Eben, teilweise ?gefühlt? endlos, und ein Genuss, wenn das Fahrwerk passt, die Reifen kleben und die Schräglagenfreiheit wie bei den Eisspeedways wäre.

Die Berg und Tal Bahn setzte meiner RD500 mit ihrem schwachbrünstigen Drehmoment ganz schön zu. Das war kein Zuckerschlecken für sie. Ich musste die Gänge, je nach Kurve, in Schwindelerregende Drehzahlhöhen jodeln, weil die Übersetzung nicht zu den langen Kurven passte, oder um am Kurvenausgang nicht mit dem nächst höherem Gang zu verhungern. Getriebe abstimmen war ja nicht möglich. Die Links Rechts Schikane, an der tiefsten Stelle der Strecke, bevor es Bergauf zur Zielgeraden geht, war so ein spezieller Fall. Eigentlich konnte ich sie gar nicht in einem Gang fahren. Sie war nämlich eine ganz schön lange Schikane, was im TV gar nicht so rüber kommt. Aber wenn ich beim umsetzen von Links nach Recht hoch schaltete, viel sofort die Drehzahl in den Keller, weil die Schikane schon Bergauf verlief, um nur noch in die noch steileren Bergauf Gerade einzuleiten.
Und der Bergauf Steigungswinkel hat?s in sich. Was im TV auch nicht so rüberkommt. Erst später, als ich diese Ecke aus eigener Erfahrung kannte, hörte ich auch im TV wie die 500er, mit ihren hoch gezüchteten Zweitaktern, gequält auf dieser Bergauf ächzten.
Also blieb ich im gleichen Gang, und ließ diesen solange orgeln, bis die Heide wackelte. Das klappte wenigstens für den Übergang. Doch während der Bergauf Fahrt verhungerte meiner RD500 regelmäßig, und die ganzen Knaller, die ich vorher noch mit dem Messer zwischen den Zähnen in den Kurven versäbelte, huschten wie am Gummiband gezappt an mir vorbei.

Das nächste waren die Bremsen. Oh my God!!!
Die 500er, wenn sie mit Schwung aus der Zielkurve knallte, war beim Beschleunigen keinesfalls eine Luftpumpe, sondern schmetterte wie eine Große die Zielgerade runter. Da war sie in ihrem Element. Nicht wenige dachten sie sehen nicht richtig, wenn sie den Berg hoch auf mich aufliefen, mich als eindeutige Schnecke identifizierten, die auf der Zielgeraden mal so eben aufgeschnupft werden konnte, und sie dann auf eben der nicht mehr an mir vorbeikamen.
Was mich natürlich diebisch freute, und meinen Bremsinstinkt bedrohlich in die Tiefe fallen ließ. Das musste ich dann immer büßen, wen ich den 260kg Bock am Ende der Zielgeraden wieder zusammenstauchen musste.

Dort war ja dann wieder die am Eingang beschriebene Startkurve mit ihren geschätzten 120°. Ideal wäre, das erste Drittel der Kurve mit dem Anbremsen zu verbinden, dann leicht raus treiben lassen, solange bis die überschüssigen 20° in einer Linie, haarscharf an den Kerps innen und der Bergauf außen genommen werden konnte. Doch dazu braucht man, noch vor den guten Bremsen, einen echten Kleber vorne, der möglichst in einer stabilen Gabel steckte. Aber gut, wenn man schon mal theoretisch weiß wie?s besser gehen könnte.
Ich dagegen musste schauen, dass ich mutig genug war, um so viel wie möglich Schwung in die Kurve mit zu nehmen, damit ich nicht noch schalten musste, und gleichzeitig immer noch genug Schmackes für den Übergang zur Bergauf drin hatte. Für den mutigen Schwung musste meine Resonanzbirne auf der rechten Seite leiden. Aber einer muss bekanntlich immer leiden.
Die Bergauf nach dem Fahrerlager war wieder eine ähnliche Tortour wie bei der Bergauf vor der Zielgeraden. Nur diese Bergauf hat einen flacheren Steigungswinkel, was meine 500er nicht ganz so ins schwitzen brachte. Dafür die Bremszone.
Wenn man die Gerade rauf fliegt und hinter der Verkleidung liegt, sieht man die folgende Links Rechts Schikane überhaupt nicht. Erst wenn man eine leichte Kuppe passiert hat, steht sie wie ein übergroßes Ausrufezeichen vor einem. Je nach dem wie schnell man ist, liegt der Bremspunkt genau in dem Moment, wenn man eigentlich noch damit beschäftigt ist, die Links Rechts zu eruieren und zu koordinieren. Wenn dann auch noch plötzlich drei andere Fahrer vor einem auftauchen, die sich noch nicht ganz einig sind, wer als erster durchfahren soll, setzt das den Schwierigkeitsgrad der Gesamtsituation noch um eine Latte höher.

Aber der Trost, die Links Rechts ist super zu fahren. Sie lässt Platz, und man ist überrascht, wie viel Strecke zwischen den beiden Kurven liegt. Da gab es viel Raum für die ideale Linie.
Die Rechts aus der Schikane zur Bergab macht ganz leicht auf, so dass man beherzter als zuerst vermutet rausfräsen kann.
Dann geht?s Bergab. Der erste Gedanken - wie und wo soll ich mein schweres Monster abbremsen. Bergab ist die Gefühlslage für den spätesten Bremspunkt bekanntlich etwas heikler, und man muss zuerst die darauf folgende Doppel Rechts kennen, um dabei beherzt zu Werke zu gehen. Alles hängt von dieser Doppel Rechts, der Beginn des ?Omega? ab. Bremst man Bergab zu spät, kann die Doppel Rechts nicht mit einem sauberen Strich durchfahren werden.

Vielleicht nicht ganz mit einem Strich, weil man mitten im Doppel, halb auf den Kerbs in Schräglage, kurz und nur ganz leicht aufrichtet, um den Rest des Doppels sauber zu fahren. Schafft man die Doppel Rechts nicht ideal, macht die darauf folgende, ganz leicht abfallende Linkskurve auch ein Problem. Die sollte aber so sauber genommen werden können, dass mit möglichst gutem Speed die kurze Gerade bis zur nächsten Links geschnupft werden kann.
Die Links leitet dann das Ende des ?Omega? ein, indem gleich nach dem Links umlegen, in die leicht abfallende Rechts umgelegt werden muss, die ihrerseits wieder zu einer weiteren Bergab Passage führt. Bei dieser Passage kann man zum ersten Mal, seit dem Omega, wieder etwas Luft schnappen. Doch nicht zu lange ausruhen. Das entspannte Hochbeschleunigen bis zu der bekannten Rechts Bergab, in der Kevin Schwantz im August noch seine Suzuki ins Kiesbett schmiss, war nicht zu unterschätzen. Man war dort in kurzer Zeit richtig schnell, und obwohl die Bergab Rechtskurve viel Speed in Schräglage abschrubbelte, war es doch immer wieder ein leichter Eiertanz auf der äußerten rechten Reifenflanke. Wohl dem der eine perfekte Vordergabel, bestückt mit dem richtigen Gummi, hatte. Meine Gabel war besser geeignet zum Stäbchenessen, als für diese endlose Abwärtskurve. Zum Glück war bei mir der 16? Gräten Metzeler drauf. So konnte meine Gabel nie wirklich beweisen wie unfähig sie für solche Attacken war.

Erst 2 Jahre später hatte ich mal einen 16? Slick, der noch verwaist im Michelin Truck eines Österreichers lag, drauf. Der Schlappen klebte so gut, dass meine überforderte Gabel, in dieser Bergab, regelmäßig heftigste Schüttelattacken bekam, so dass ich nicht selten am Ausgang der Kurve, unter dem Beifall der Streckenposten, einen Zirkusreifen Rodeoritt durchs Kiesbett machen musste.

Hatte man aber diese Bergab elegant geschafft, hieß es bis zur Talsenke, der tiefste Punkt der Strecke, drehen bis die Gläser splittern, was bei diesem Gefälle wie von selbst ging.

Und schon war man wieder in der Links Rechts Schikane, die zu dem verhassten Bergauf Stück vor der Zielgeraden führte, an dem ich meine 500er regelrecht, doch leider erfolglos, peitschen musste. Wobei die Stelle, am Ende der Bergauf, gute Möglichkeiten zum letzten Ausbremsmanöver hätte bieten können. Vorausgesetzt man hat einen Drehmomentstarken Brenner unterm Hintern.

Die Links Rechts Schikane, vor allem der Rechts Teil in die Zielgerade, war so breit, dass je nach dem wie man bei der Links einbog, entweder eine super Linie für die Zielgerade, oder eine Überraschungs- Überholmanöver gestartet werden konnte.
Rasch sammelte man durch die gefahrenen Kilometer auch mehr Streckenkenntnis zusammen. So dass die Streckencharakteristik keine Überraschungen mehr, sondern eine Unmenge an neuen Möglichkeiten bot.

Ich passte meinen Fahrstil den Gegebenheiten an. An meiner RD500 konnte ich nur kleine Dinge ändern. Vieles war unerschwinglich, und im Zuge der raschen, technischen Veränderungen, auch komplett für die Katz. Den nüchtern und technisch gesehen war die RD500 auf dem absteigenden Ast. Man musste sich nur die GSX-R 750, RC 30 und die kleine CBR 600 ansehen, um zu erahnen was die nächsten Jahre angesagt war.

Das dringendste Problem waren meine Auspufftüten. Die setzten schneller auf, als mein Schräglagenmesser es für nötig hielt. Das nahm mir den nötigen Schwung, den ich aber unbedingt brauchte um meine unpassende Getriebeübersetzung zu kaschieren.

Die einzige Chance, die ich in Brünn hatte, war, mit mehr Schräglage durch die Kurven zu peilen, damit ich den nächst höheren Gang, bei optimaler Drehzahl nutzen konnte, der dann auch für die nächste Beschleunigungsphase besser passte. In einigen Kombinationen brachte das immense Vorteile. Sauberen Rhythmus vorausgesetzt.
Es war erstaunlich, wie die Psyche auch hier ihre Spielchen trieb, bis man mal an der echten Grenze des Motorrads oder der Reifen angelangt war. War sie erst einmal überlistet, zeigten sich völlig neu Chancen im Spiel der Möglichkeiten.

Also schaute ich über den Winter nach einer Rennanlage.
Wie der Zufall so spielte, bot gerade jemand eine gebrauchte WIWA an.

Da ich noch ein paar Märker loseisen konnte, gab es auch gleich noch ein paar Gußbremsscheiben von Brembo. Den ganzen Winter über stellte ich mir in meinen mentalen Trainingseinheiten vor, wie sich die Änderungen auf der Strecke auswirken würden.
Heiß wie Nachbars Lumpi startete ich im nächsten Frühjahr nach Tschechien. Diesmal mit Papas altem Anhänger, der eigentlich für Heckengestrüpp und Kartoffelsäcke reserviert war. Schnell ein paar Halterungen angeschraubt, in die die RD500 in die Federung gespannt werden konnte. Und los ging?s.
Allein, wie Clint Eastwood dem Sonnenaufgang entgegen ritt, fuhr ich schnurstracks in den Osten zur ?Race for Fun? Orgie.

Da ich nicht der Technik Freak war, und selbst wenn, nicht die erforderlichen Mittel, wie Werkzeug, Maschinen und Platzverhältnisse hatte, wurden meine technischen Ideen relativ zügig, nach dem Moto: kaufen, ranbasteln und schauen was dabei rauskommt, erledigt. Mein technischer Charakter war in diesem Fall nicht so weit gefestigt, dass ich alles bis ins kleinste Detail beachtete und ausarbeitete.

Das hatte zur Folge, dass meine WIWA Anlage selbstverständlich die alleinige Veränderungsgröße war. Weder Vergaser, Ein- und Auslas wurden angepasst. Egal, das gesamte Auspuff Quartet wog gerade soviel wie eine serienmäßige Auspufftüte. Und ganz wichtig, die Resonanzbirne war schön schmal. Das verfügbare Drehzahlband verschob sich in einen Bereich, der jedem ernsthaften Techniker den Schweiß aus den Poren drückte. Dafür war der Sound gigantisch.
Bei der Brembo Scheibe das gleiche. Die 300mm Durchmesser passten nicht optimal zu meinem Hauptzylinder. Die Bremse verzögerte zwar 1A, aber mit der Dosierung haperte es ganz ordentlich.
Alles nur Gewöhnungssache. Da ich meinen Fahrstil sowieso an alle möglichen Unzulänglichkeiten anpassen musste, viel das bisschen mehr gar nicht so auf.
Viel schlimmer war die Entwicklung um mich herum. Waren letztes Jahr noch vereinzelt Motorräder dabei, die mich an die Technik der RD500 erinnerten, so gab es jetzt fast nur noch CBR 600, RC30, FZR und ZXR.
Und alle aufwändig vorbereitet. Nicht selten sah man Transporter, die voll gestopft waren mit Ersatzverkleidungen, Reifen, Felgen und jeder Menge anderer wertvoller Teile. Der Wahnsinn.

Die besten Reifen gab es nur noch auf 17?, und die Standardversionen der gängigsten Supersportler versprachen schon optisch den genialen Mix von Fahrwerk und Leistung für die Race for Fun Veranstaltungen.

Meine Motivation schrumpfte mit jeder Veranstaltung. Sicher, man fuhr ja nur zum Spaß. Aber keiner kann sich Vorstellen wie wenig Spaß es machte, regelmäßig auf einer technisch nicht mehr up do daten Maschine versemmelt zu werden.
Noch dazu, wenn man genau beobachten konnte, wie dusselig sich so manche anstellen auf ihren ?Super? Bikes, und man letztlich nur Kanonenfutter für die nächste Bergauf Gerade war.

Selbst die Aufrüstung auf White Power Federn und Dämpfer, was eigentlich als erstes passieren hätte sollen, verbesserte meine Laune nicht wesentlich.

Es machte zwar mehr Spaß, die besseren Linien, den optimalen Rhythmus zu finden, was mit meiner letzten Tuningstufe, den Jolly Motos, bestens gelang. Doch auch der Rest der RD500 litt mittlerweile unter den vielen Basteleien und Kiesbettforschungen, und sah so zerfleddert aus wie eine weiße Taube, die durch einen Ventilator geflogen war. Das zu den roten Stellen an meinem Moped.

In den Jahren, als Kevin Schwantz das Ausbremsmanöver des Jahrzehnts, Eingangs Motodrom in Hockenheim, in den Asphalt stempelte, Mick Doohan ein Jahr später in Assen verunglückte und letztlich Wayne Rainey, wieder ein Jahr später, in Misano so unglücklich seine Karriere beenden musste, zog ich nur noch selten nach Brünn zum Race for Fun. Einmal war ich mit einem Bekannten auf dem alten Österreichring, was auch eine Super Sache war. Denn der alte Österreichring war viel schmäler als die Strecke in Brünn.

Unglaublich schwer, dort eine saubere Linie zu finden, da auch hier eine unübersichtliche Berg und Talbahn war. Aber Spaß hat?s gemacht.

Später gründete ich eine Yamaha RD500 Interessengemeinschaft, um mehr Motorradfahrer zu treffen, die noch auf dem gleichen Stand waren.

Das klappte auch ganz gut, und mit einigen dieser Gesellen fuhr ich ein paar mal nach Frankreich auf die Flugplatzrennstrecke Lurcy Levis. Dort versammelte sich die Creme der Zweitaktbastler aus halb Europa.
Unglaublich was aus dieser einfachen RD500 Kiste noch gezaubert werden konnte.

Den Rest der Zeit begnügte ich mich mit der Hausstrecke im Schwarzwald, die regelmäßig, samstagmorgens, mit meinem Zweitaktnebel bestäubt und mit meinem veredelten Motorsägengeräusch aufgeschreckt wurde.

Während Mick Doohan die Weltmeistertitel sammelte, und ich noch psychisch an dem Karriere Ende meines bis dahin größten Heros Kevin Schwantz nagte, besuchte ich das letzte Mal life eine Rennveranstaltung. Brünn GP 18.08.1996.
Ich saß Ausgangs des Omegas auf der Freilufttribüne. Diesmal ohne Wespen, weil das Wetter deutlich feuchter war.
Beim 125ccm Rennen verzauberte ein junger Schnösel aus Italien die gesamte Besucherschaft. Der durchs Feld voll etablierter Größen pflügte als sei das alles ein Pocket Bike Veranstaltung. Als er dann auch noch seinen ersten GP Sieg einfuhr, war auch noch die gesamte Motorwelt Presse verzaubert. Valentino Rossi. Ein Name, der gut zu dem farbigen Sammelsurium seines Kombis passte, und mit Sicherheit noch öfter auftauchen würde.

Meine Traummaschine hatte ich immer noch nicht gefunden. Alles was ich sonst noch getestet hatte, trieb mich immer wieder zurück zu meinem alten Mädchen RD500. Die im Gesamten doch noch ein Super Moped war, das auf gewöhnlichen Straßen, trotz ihrer veralteten Technik, richtig Spaß machte, und nicht wirklich ersetzt werden konnte.

Die Zeit war noch nicht reif!



"Serious sport has nothing to do with fair play. It is bound up with hatred, jealousy, boastfulness, disregard of all rules and sadistic pleasure in witnessing violence: in other words it is war minus the shooting."

 
Ar-one
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zuletzt bearbeitet 26.09.2022 | Top

   

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